Kürzlich hatte ich ein Gespräch mit einer befreundeten Lehrerin, die aktuell in ihrer Abschlussklasse Einstellungsgespräche übt. Für mich Grund genug, um das Thema in meinem Blog aufzugreifen.
Zunächst einmal ist zu klären, was das Ziel eines Einstellungsgesprächs ist: Eine Firma sucht einen neuen Mitarbeiter, der möglichst gut den
Anforderungen genügen soll. Mehr ist es eigentlich nicht und doch können Einstellungsgespräche in ihrer Variationsvielfalt, wie sie in der Praxis vorkommen, nicht unterschiedlicher sein!
Das fängt bereits dabei an, wie Personaler diese zwei Kompetenzkriterien ins Verhältnis setzen: Die fachliche Eignung schlägt die soziale. Mit letzterem meine ich vor allem das Gefühl, das ich als Führungskraft nach einem Gespräch habe: Der Bewerber passt zu uns in die Firma oder er passt nicht. Aus meiner Sicht gibt es viele Gründe, warum dieses subjektive “Reinpassen” wichtiger ist. Ein paar Beispiele, was passieren kann, wenn es zu Spannungen im Team auf Grund sozialer Unverträglichkeiten kommt:
- Psychische Probleme durch Mobbing
- Häufigere Fehlzeiten durch Krankheit
- niedrigere Produktivität
- gegenseitige Sabotage
- Schaffung von Inselwissen
- Aufgabe der Arbeitsstelle / hohe Personalfluktuation
Das sind allesamt Punkte, die den Arbeitgeber am Schluss mehr Geld kosten! Diese Tatsache läuft der Höherbewertung der fachlichen Kompetenz aber zu wider, denn genau aus dieser hatte sich die Führungskraft ja letztendlich einen finanziellen Vorteil erhofft.
"Denn nichts ist schwerer und nichts erfordert mehr Charakter, als sich in offenem Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein." – Kurt Tucholsky
Ein weiterer Unterschied liegt darin, wie das Gespräch geführt wird. Um überhaupt ein Gefühl für besagtes “Reinpassen” des Bewerbers zu erlangen, ist es wichtig, dass selbiger sich öffnet und viele Informationen Preis gibt. Das erreiche ich aber nicht, wenn ich ihn von Anfang an unter Druck setze, meine Sätze hochtrabend und schwer verständliche formuliere oder rein aus den betrieblichen finanziellen Interessen heraus argumentiere. Es ist nötig, dass sich der Kandidat wohlfühlt. Ich fange dazu meistens ein Gespräch über etwaige Hobbies oder persönliche Interessen an. Auf Einstellungstests verzichte ich – zumindest bei Gesprächen mit jungen Menschen oder frischen Schulabgängern – sogar gleich. Die Aufregung und der Druck bewirken das Gegenteil von dem, was man erreichen will. Eine meiner Meinung nach bessere Lösung ist das Probearbeiten für 1-2 Tage. Gespräche mit unseren ehemaligen Azubis ergaben, dass viele sehr froh über diese Möglichkeit waren und sich das auch von anderen Firmen gewünscht hätten.
"Ob man den Beruf nur ausübt, um Geld zu verdienen, oder ob die Arbeit Freude bereitet, weil man sie sinnvoll findet, entscheidet, ob man Sklave oder König ist." – Max Lüscher
Natürlich kostet diese Variante viel Zeit. Und damit wären wir beim letzten wesentlichen Unterschied, den ich nennen möchte: Zeit. Ein Unternehmen, das weiß, dass eine Firma mit dem Personal steht und fällt, die wird sich viel Zeit für eine derart wichtige Entscheidung nehmen. 20-minütigen Einstellungsgespräche dürften hier die Ausnahme sein! Ich hatte mal ein Gespräch, in dem ich selbst Bewerber war, das über 1,5h ging und bei dem der Teamleiter, der Abteilungsleiter und der Personalleiter anwesend waren. Da merkte ich sofort, dass der eigenen Stelle im Unternehmen viel Wertschätzung entgegen gebracht wird.
"Millionen Menschen in diesem Land verdienen wenig, viel zu wenig, und gehen trotzdem jeden Tag zur Arbeit, oft ihr Leben lang. Das sind für mich die wahren Helden unserer Zeit." – Olaf Scholz
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